Tillmans fürs Leben
"Nicht zum ersten Mal sehe ich, wie das Antlitz der Kunst die Gesichter lebendiger Menschen auslöscht." Witold Gombrowicz
Er will damit sagen, dass das einzelne Betrachter-Gesicht konterkariert wird von Tausenden "Betrachtern" in der Masse, absolut gut sichtbar vor dem berühmten Gesicht der Mona Lisa im Louvre hinter der Abschrankung in grosser Distanz vom Meisterwerk.
Klar, sie folgen den Messingschildern und den Sternen im Reiseführer und sind Getriebene, das ist abstossend, wie WG schreibt. Aber man kann den Museumsbesuch auch anders angehen: Jene Betrachtenden suchen, die, ohne ihr Gesicht zeigen, die Sache mit dem Bild erhellen, ihm einen zusätzlichen Sinn vermitteln.
Das klingt wie und ist jetzt hier ein Werbespruch in eigener Sache, auf meinem Weg in der Suche nach einem Verlag in Sachen art'n'public.
Gesichtslos andersrum: Die Aufgeschnappten haben auf meinen Fotos auch keine Gesichter – oder kaum erkennbare. Hier bei Wolfgang Tillmans die Mutter und das Kind vor der Kunst der gezeigten Geschlechtsteile. Die Mutter und das Kind repräsentieren (als Betrachtende dem betrachtenden Fotografen ab- und also dem Kunstwerk zugewendet) eine mögliche Folge der darin gezeigten Geschlechtlichkeit – Geburt und Mutterschaft. Daneben die weiss behaarte Grossmutter (mit dem nur knapp ins Bild gerückten Gesicht und also auch nicht erkennbar) vor Tillmans' Foto des an ein Gitter gewehten und haftenden Herbstlaubes, vom Zyklus des Jahres und des Lebens redend.
Da die Menschen, auf die ich achte, sich der Kunst zuwenden, wenden sie sich von der Linse ab; sie sind als Person nicht erkennbar und demnach auch persönlichkeitsrechtlich nicht relevant dargestellt. Es geht um anderes als um das Erkennungsdienstliche.
Und ist kein bisschen gestellt. Ehrenwort!