Alice Henkes
Unter dem Zauberspruch «Abrakadie und mehr», den Filip Haag (*1961) als Titel über seine neuen Werke wirft, versammeln sich abstrakte Arbeiten, die immer wieder Gegenständliches suggerieren. Querformatige Zeichnungen mit mal dichteren, mal luftigeren Liniengewirren entfalten Landschaften, die umso detaillierter werden, je länger man sie anschaut. Schwarze und graue Ölfarbe auf blauem Grund mit den Fingern verteilt, verwandelt sich in einem Werk wie ‹Arumeni›, 2014, in Wolken und Flügel, in gefiederte Schwärme oder stürmische Bewegung. Gerade in den grossformatigen, farbigen Arbeiten sind es weniger Natur und Landschaft, die evoziert werden, sondern die ungreifbare Macht der Elemente: Wind und Wellen scheinen auf dem Malgrund zu arbeiten. In ‹Obladie›, 2015, punktieren seltsame Löcher die weissliche Weite, wie Tierspuren im Schnee. Dieses Sich-Hinaustasten über den Bereich des Darstellbaren findet sich auch in den Bildern, die mehr oder weniger deutlich an Köpfe erinnern. Aus markigen Pinselgesten entstehen Schattenrisse von Häuptern, wie in ‹Cheloman›, 2014. Eine Art Helm scheint den Kopf zu überwölben, ein Helm, der möglicherweise aus den Gedanken gebildet ist, die dem Kopf entströmen und dem Noch-nicht-Wissen zulaufen. Kunstbulletin, 09/2015
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Auf den Schwingen der Fantasie
Wolken und Wind scheinen über die Leinwände zu jagen, die Filip Haag mit Ölfarben gestaltet hat. Mal erinnern die Strukturen an Gräser oder Federn. Mal wirkt es, als sehe eine dunkle Figur aus dem Bild heraus. Mal scheinen sich auf der Leinwand weite Flügel auszubreiten.
Filip Haag arbeitet in seinem vielgestaltigen Werk immer nahe an der Grenze zum Figürlichen, zum Narrativen. Er experimentiert mit verschiedenen Materialien und Techniken, mit Farben und Pigmenten. Farben und Strukturen sind die wesentlichen Elemente seiner vieldeutigen Arbeiten. In der Galerie Bernhard Bischoff und im Raum Videokunst ist eine Auswahl von Werken des Berner Künstlers zu sehen. Es sind Ölbilder und Objekte sowie eine Videoarbeit. Die Techniken variieren, das Thema bleibt gleich: die spannungsreiche Form, die beim Betrachten mit Bedeutung aufgeladen werden kann. Die Ölbilder bieten dem Auge Strukturen, die an bewegte vegetative Formen erinnern. Sie entstehen mit blossen Händen. Der Künstler verteilt flüssige Ölfarbe mit Händen und Fingern auf der Leinwand. So entstehen die typischen linearen Formen, die an Gräser oder Flügel erinnern. Filip Haag arbeitet einzelne Formen heraus, indem er farbige Akzente setzt, die dem Bild zudem eine räumliche Tiefe geben.
Wachsgiessen am Thunersee
Einige der Ölbilder erinnern an Rorschach-Test-Bilder, deren abstrakte Motive Patienten beim Psychoanalytiker einst dazu anregen sollten, etwas in sie hineinzulesen. Filip Haags Arbeiten spielen mit der Wahrnehmung und dem menschlichen Vermögen, Sinnhaftigkeit auch dort herzustellen, wo womöglich keine vorhanden ist. Die Objektgruppe der Thunersee-Gebilde verdankt ihre bizarren Formen einem Entstehungsverfahren, das an das silvesterliche Bleigiessen erinnert. Filip Haag giesst warmes Wachs in den kalten Thunersee und benutzt die so entstandene Form als Vorlage für Bronzeabgüsse. Dank einer schwarzen Patinierung sehen die schweren Bronzen wie fragile dünne Aschenformationen aus, die der nächste Windhauch forttragen könnte.
Ganz nahe an der Figuration ist Filip Haag in seinem Videoloop «Ink'n Go», das aus rund zehn Einzelbildern zusammengesetzt ist, die er mit einem Morphing-Programm bearbeitet hat. In den sich stetig verändernden Figuren lassen sich Ringe, Kugeln, fremdartige Köpfe erkennen, einmal sogar ein Bilderrahmen mit einer Rückenfigur darin. Die Bilder entstehen und zerfliessen, zerfallen in zahlreiche Facetten, aus denen immer wieder neue Motive entstehen. In diesem Prozess lässt sich eine Formel für das gesamte Schaffen Filip Haags erkennen.