Martin Bieri Zauber und Arbeit
Der Berner Filip Haag zeigt Bilder, von denen nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob sie wirklich von ihm stammen. Dafür ersetzen sie womöglich einen Therapeuten.
Kein Schelm, wer ein Porträt darin sieht: «Gilmonam», 2014, Öl auf Baumwolle.
Wer Auskunft über seinen seelischen Zustand erhalten möchte, ohne sich in eine Psychoanalyse zu begeben, dem hilft die Ausstellung «Abrakadie & mehr» in der Galerie Bernhard Bischoff. Japanische Wissenschaftler vermuten nämlich, dass besonders neurotisch veranlagt ist, wer in Gegenständen, Wolken oder Felsen auf dem Mond ständig Gesichter sieht. «Pareidolie» heisst das Phänomen, «Nebenerscheinung».
«Natürlich lege ich es darauf an, dass man in meinen Bildern etwas entdecken kann, das einem bekannt vorkommt», sagt der Berner Maler Filip Haag. «Ein Bild ist nicht fertig, wenn ich es zu Ende gemalt habe, sondern, wenn es bei jemandem ankommt.» Was auch immer dieser jemand darin sieht.
Nun könnte man einwenden, das sei genau das Beliebigkeitsproblem von schlechter Kunst, die allein im Auge des Betrachters liege. Auch dafür hat die Seelenkunde einen Namen; die postmodernen Zeichentheoretiker haben ihn dankbar aufgenommen: «Apophänie», das Sehen von Verbindungen und Bedeutungen, wo keine sind.
Dem Zufall Herr werden
Misstraut Haag dem Autor, in dessen Verantwortung es doch läge, «eine formende Strategie» wenigstens vermuten zu lassen, wie Umberto Eco sagt? «Ich finde es einfach nicht interessant, am Anfang schon zu wissen, was am Ende herauskommt», sagt Haag. Deshalb kooperiert er in seiner Kunst mit dem Meister Zufall.
Früher initiierte Haag chemische Prozesse, nicht um Bilder zu produzieren, sondern um in der Melange nach Bildern zu suchen und dadurch dem Zufall Herr zu werden. Haags synthetische Landschaften sind greifbarer als so manche naturalistische Postkartenmalerei. Zu dieser erprobten Methodik gehören auch die bei Bischoff ebenfalls gezeigten kleinen, aber kraftvollen Bronzeskulpturen, die nach der Form von im Wasser des Thunersees erstarrtem Wachs gegossen sind.
Weg mit der malerischen Handschrift
Auch Haags aktuelle Gemälde, manchmal eindringlich, manchmal nervös, bauen auf nur bedingt zu steuernden Prozessen auf. Sie entstehen durch die Reaktion von Lösungsmittel und Öl, unter ständiger Wegnahme von Farben - und zwar von Hand. Es sei immer sein Ziel gewesen, den Duktus, die malerische Handschrift zum Verschwinden zu bringen, sagt Haag. «Und seltsamerweise geht das besser, wenn man nicht mit dem Pinsel malt, sondern mit der Hand.»
Diesen Widerspruch soll auch der Titel der Ausstellung zum Ausdruck bringen, der sich aus einem Zauberspruch und dem Abrackern zusammensetzt: «Es gibt Bilder, die entstehen wie von alleine, andere brauchen Jahre.» Denn alles wird nicht dem Zufall überlassen, Haag reagiert wählend und gestaltend auf das im mühsamen oder leichten Entstehen begriffene Bild - Zauber und Arbeit -, und weil das auch der Betrachter tun soll, sieht man Federn, einen wolkenverhangenen Himmel, Fasern, die Struktur eines Steins. Dazu Landschaften, einige davon mit Bleistift gezeichnete Flugbilder einer imaginären Voralpenwelt, schön und entschwindend. Und sehr viele Gesichter. Zur Beruhigung: Haag hat mit Absicht eine ganze Wand voll von annähernden Porträts gemalt, für neurotisch braucht sich also nur zu halten, wer darin jemanden zu entdecken glaubt, den er kennt.