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Bildaufwand – Bilder auf Wand

WERDEN&VERGEHEN – STAMARIUM Juli 2020

Kalktünche auf 400-jährige Stallwand, Sta.Maria/Müstair CH


Bild: Pascal Lampert

Santa Maria: Die Wand entrang sich mir, vom Boden her gestreckt und auf der Leiter am Pinsel, aus einem Sammelsurium von Launen und Läunchen, in paar Tagen.

Ich traf mit Kalktünche, gebrannt in der Region, auf den groben Putz der vierhundertjährigen Stallwand im Val Müstair. Mein vages, nicht vorgespurtes oder gar entworfenes und skizziertes Ansinnen: Landschaftsartiges. Nach zwei Stunden kam der wache Milo (6) und nannte den Anfang ein Insekt ("Höiiggümper, Ameise"). Ich realisierte, dass da in der Malerei keine Landschaft erwuchs – da es ja auch gar keine braucht inmitten einer so grossartig starken Bergwelt. Die Szenerie wandelte sich fortan nadisnaa in ein Fabelwesen, das sich mit gezacktem Rücken und Schildplatten und rüsselhaltigem Gesicht und mit kreisrunden, ins Terrain gelegten Kugeln in die Gegend fügt und einmischt. Es verflüchtigt sich nach oben in Wolken oder in Rauch- und Dampfschwaden – wie es so ein fabelhaftes Wesen eben mit sich bringt und wie es unter meiner Hand auf einer alten, immer wieder frisch befeuchteten rauen Wand in weisser Tünche entstand. Bis ganz unters Dach hats nicht gereicht, ich fürchtete mich davor, beim Strecken und Streichen von der Leiter zu fallen.

In Santa Maria war die Farbe flüssig und die Mauer rauh, die Pinsel fransten beim Malen aus und Tropfen waren laufend aufzufangen. Kinder spielten vor dem Bild süsse Spiele, Wandernde warfen, mit wie ohne Hund, Blicke, mal schauten sie auf, mal zu, mal nicht.

Jeder steckt in seinen Kleidern und vertritt seine Welt; keine liegt näher, keine ferner.

"Der Unterschied zwischen Himmel und Erde ist unendlich, aber die Entfernung zwischen ihnen ist gering." John Berger

Bild: Pascal Lampert

Ist das Bild fertig? Vor zwei Wochen habe ich die Pinsel ins Gras unters Bild gelegt und vor ein paar Tagen obige Zeilen verfasst. Und heute schreibt mir ein Freund dies: "Gefällt mir gut, besonders wie der Himmel von hinten über den Hügelkamm rollt. Etwas unbefriedigend scheinen mir die rundlichen Formen in der unteren Bildmitte (Laubbäume? Schafe?). Vielleicht lege ich zuviel Gewicht auf ‘Landschaft’."

Er spricht aus, was mich undeutlich umtrieb – und es noch tut: Eine Landschaft, keine Landschaft; verspielte Formen aus Fabelwelten, aber ohne dazu passende Legende; ohne Narrativ, wie mans heute nennt, wenns eins gibt. Aber eben: Es gibt keins.

Der schwache Kontrast zwischen der grauen Wand und dem gemalten Weiss hatte dazu geführt, dass ich Striche scharf zog, indem ich Farbe aussparte; hatte wohl den Eindruck, dass schwacher Kontrast nach starker Lineatur ruft, zum Ausgleich. Als Gegensatz.

Die Mauerspalte passt ins Bild, der raue Putz, die flockige Farbe, aber auch die deutlich gelegten ausgesparten Linien passen. Aber die Kugelformen ohne Bedeutung, sie sind wohl wirklich hier fremd. Ist Fremde aber ein Grund für Übermalung, für Annullation?

Ich liebe Würfe; wenn alles stimmt, wenns einfach klappt, wenn ein Lauf sichtbar wird. Aber Widerstand und Hartnäckigkeit meide ich nicht. Das, was nicht nahe liegt. Klar, das ist nicht vom Betrachtenden aus gedacht (wie könnte ich es), sondern eben: vom Machen aus. Ich bin mit den Pinseln involviert ins Geschehen, das ich erschaffe, und meist ist eine Spur so ephemer, dass sie gleich wieder erlischt und eingeht in die nächste Spur, in Anderes, Grösseres. Ich rechne beim Malen ohne vorgängigen Plan immer damit, dass alles erlischt und dass eine einzige Form bleibt – die dann ein wolkenloser Himmel sein könnte oder eine blanke Erscheinung; der ganze Kampf um die Form wäre dann nicht mehr sichtbar, er wäre annulliert, weggemalt.

Nein, ein Wurf ist das Bild nicht, da sind zu viele Formen, die ins Leere führen; die etwas anführen, was dann nicht ankommt. Die an Geschichten rühren, die ich dann doch nicht erzähle. Vielleicht müsste ich einfach radikaler vieles tilgen, so dass nur noch "der Himmel von hinten über den Hügelkamm rollt." Dann wäre weniger mehr.

Ich müsste nun in die Berge fahren und die Sache noch einmal an die Hand nehmen. Echli weniger narrativ und dafür mehr Malerei. Aber hätte ich dann nicht einfach ein anderes Bild – mit ungesagten Geschichten (oder mit gesagten und ohne Nachhall verklungenen)?

Alles kommt anders, als man denkt. Das soll auch so bleiben. Wo ein Gewinn, da ein Verlust.

Alles Dilemma in Worte zu fassen, das ist mir auch Gewinn.

***


LAPASARIMUM, März 2020, Silikatfarbe, BEKB Lyss

LAPASARIMUM, das Wandbild in der Kantonalbank entstand in Lyss im Corona-Lockdown im März Zwanzigzwanzig, im Isolationsmodus, vorerst noch zeitgleich mit der Bau-Schlussreinigung, bei der mir Steine in den Weg und Gruben gelegt wurden; den Sinn meines Tuns am Pinsel wollte die Reinigungsmannschaft nicht einsehen, sie fand das Malen so sinn- wie bedeutungslos. So kanns der Kunst mit dem Publikum ergehen, vor allem der Kunst, die noch gar nicht ist, sondern grad entsteht.

Im weiteren pinselte ich mutterseelenallein in der neu erstellten und geschlossenen blitzblanken Filiale das Bild zu Ende und staunte über die gemachten Formen in ihrer Klarheit.

***


LAGRANGAM, Wandbild Dispersionam Ghat in Varanasi/India, Februar 2020

Am Panchkot Ghat am Ganges in Varanasi, fünf Monate früher: LAGRANGAM. Niemals vorher hatte ich ein Bild in der Oeffentlichkeit gemalt, es wuchs fast performativ – Passanten und Betrachtende machten auch mal Bemerkungen und wollten Fragen beantwortet haben.

Ich hatte – in Improvisation, wie immer – mit kubischen Formen begonnen und die dann in eine weiche Landschaft in Weiss versetzt – einen sanften Fluss unter Dunstschwaden und -schleiern.

Die Inder verstehen das Bild nicht, ihr Auge hat für sowas keine Uebung – so malte ich es mir aus; sie sehen nur Flecken, Ungenaues, Unfertiges. Geschmier. Es fehlen ihnen: Götter, Blumen, Symbole, Elefanten, bunte Töne, ... Alles enthalte ich vor... Und da wir Künstler in über hundert Jahren uns in Malerei und Skulptur lange und fast nur um Abstraktion, Vergeistigung und Formalismen bemühten und nicht um Abbildhaftigkeit und Inhalte, ging alles in eine Richtung, welche Indien in seiner Ikonografie-Schwere und in der prallen Fülle von Inhalten und Bedeutungen nicht kennt und auch nicht kultivieren mochte und mag. (Und dann gibts ja noch Performancekunst…, da kennt Indien ja auch ganz andere Rituale.) Heute mag es anders sein, im Westen wird nun unter viel anderem viel Realismus und Inhaltlichkeit erstellt und gezeigt (wo der Vorwärtsdrang in den reinen Geist verebbt, da rettet man sich ins Greifbare). Und umgekehrt kümmert sich mancher Inder um westliche Form, auch in der Kunst. Aber noch immer sind die Welten verschieden. Zum Glück.

Sowas zog mir, erdacht, durch den Kopf.


Haben aber wir Westler mit unserem Schaukeln durch modernere Lebens- und Betrachtungsweisen wirklich ein ausladenderes Sensorium für Abstraktion und ihre Deutung? Oder ist die Abstraktion einfach eine andere? Und sind es nur ein paar von uns, die wir uns die Kunst auf die Fahne schreiben und Abstraktion wirklich versenkt betrachten können? Ist es gar nicht so, dass "Wir" da den grossen Vorsprung aufweisen und alle anderen Kulturen auf hinteren Rängen ans Ziel kommen? Noch nicht mal in dessen Nähe?

Grad ruft der Muezzin aus der Moschee über die Stadt; in seinem Rufen vermittelt er, was uns abstrakt und inhaltsarm vorkommt (wenn auch energiebeladen) – es aber nicht ist.

Immer wieder auch mal war ich früh vor acht Uhr im Hindu-Tempel, wo Hunderte Gläubige rituell und (fast) in Ekstase mündend einfache und wiederholte Gesänge sangen, bis hin zur Entladung. Das sind Inhalte – und mir bleibt unverständlich, wie genau die Herzen bewegt werden. Es ist ihre Welt. Sie zeigt und erweist sich den Indern von Inhalten voll.

Mein Wandbild am Ganges dreht die Verhältnisse um. Ich male eine moderne Welt, eine globale, Die Formen sind keine Tempel und sind nicht heilige Gewässer. Nicht erkennbar werden sie als ganz bestimmter Ort in seiner grossen oder kleinen Bedeutung, nicht gefüllt mit der Magie des Angebeteten oder aber des unangenehm Berührenden. Sind einfach Formen, die nur als Farbe und einfach und optional das Bestehende, die reale und sichtbare Welt ergänzen.

Wer sich auf die Formen(spiele) einlassen mag, wird eine Welt erkennen – und sich darin. So: Immer verwandter werden mir die Dinge / und alle Bilder immer angeschauter. R.M.Rilke

Wer aber daran vorüber zieht, ohne ihr Beachtung zu erteilen, an dem zieht auch sie vorüber. Ich habe und male und verteile keine Message. Dass mein Anliegen – die Vorstellungskraft, das Imaginationsvermögen anzuregen, dem Betrachtenden also ein Terrain zu bereiten, auf dem er und sie sich bewegen kann – auf grosse Aufmerksamkeit stösst, kann ich so nicht als zwingend erwarten (muss aber auch mit keinem Widerstand rechnen, allenfalls mit einem Lächeln).

Das Bild nach paar Tagen schon mit Ganges-Schlamm versehen – Fingermalerei in brauner Farbe. Für mich ists Vandalismus, Schmutzgeschmier, für Inder wohl ists heiliges Schlammgut, profan oder rituell appliziert.

Und nach paar Monaten, wenn in der Regenzeit der Fluss am Gemäuer lecken wird, um etliche Meter gestiegen, dann wird das Bild verschwimmen. In Fluten untergehen – nicht in gemalten.

1 Comment


brunner-beratung
Jul 31, 2020

Toller Text, wie eine Bildergeschichte für sich mit wunderbaren Gedanken - vielleicht is das Sehen, Annehmen und vorüber Ziehen lassen das Indische, die indische Art und Weise die Dinge anzugehen oder eben nicht ...

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